Sind das keine Fans? - Neonazis in deutschen 11FREUNDE

Publish date: 2024-11-12

Kai­sers­lau­tern hat 100.000 Ein­wohner, die größte Dino­sau­rier-Aus­stel­lung Europas, eine Tech­ni­sche Uni­ver­sität, einen abstiegs­be­drohten Fuß­ball­klub und, nun ja, außerdem ein Neo­nazi-Pro­blem. Diesen Ein­druck ver­mit­telt jeden­falls das Echo auf den Vor­fall am ver­gan­genen Sonntag, als der FCK-Spieler Itay Shechter, ein Israeli, von einem Zuschauer als Drecks­jude“ beschimpft wurde. Die anwe­sende Polizei unter­nahm nichts, obwohl der Schrei­hals und seine Gruppe Sta­di­on­verbot haben. Sie wollte, so ver­mel­deten diverse Pres­se­agen­turen, dees­ka­lie­rend auf­treten. Die Sport­bild schrieb von einem Anti­se­mi­tismus-Skandal“, die BZ von einem Ras­sismus-Skandal“, der Schweizer Blick nannte den Vor­fall einen Nazi-Skandal“. Hat der Verein tat­säch­lich ein Nazi-Pro­blem? 

Fakt ist, dass in der Stadt 2009 und 2011 Kon­zerte von Rechts­rock­bands wie Kate­gorie C statt­fanden, ver­an­staltet von NPD-Kadern oder FCK-Hoo­li­g­angruppen wie Rot­front KL“ oder First Class“. Am 29. April 2011 orga­ni­sierten rechts­extreme Bünd­nisse vor dem Bun­des­li­ga­spiel 1. FC Kai­sers­lau­tern gegen den FC St. Pauli eine Kund­ge­bung. Auf der Home­page der NPD hieß es dazu: Geplant ist gerade hierbei, zahl­reiche Fuß­ball­fans zum kri­ti­schen Denken zu bewegen.“ Und ja, es gibt auch FCK-Fans, die in Shirts oder Pull­overn der Marke Thor Steinar“ oder mit anderen Logos der rechten Szene durchs Sta­dion spa­zieren.* Tat­säch­lich spre­chen auch Per­sonen aus dem Ver­eins­um­feld hinter vor­ge­hal­tener Hand von einem Neo­na­zi­pro­blem beim 1. FC Kai­sers­lau­tern. Gerade in Kreisen der alten Hoo­li­gan­szenen gebe es viele Rechts­extreme, die momentan wieder ver­mehrt jün­gere Fans rekru­tieren.

Gehören die beschul­digten Per­sonen über­haupt zum Fuß­ball?

Diese Per­sonen sind da, auch wenn sie nicht immer wahr­nehmbar sind“, sagte FCK-Fan­pro­jekt­leiter Erwin Ress zu 11FREUNDE. Doch weil sie sich am Sonntag laut­stark zu Wort gemeldet haben, wird nun von allen Seiten auf Kai­sers­lau­tern gezeigt. So wie man zuletzt auf Ale­mannia Aachen oder den TSV 1860 Mün­chen zeigte. So wie davor immer wieder auf etliche Ver­eine aus dem Osten Deutsch­lands. Doch gehören die beschul­digten Per­sonen über­haupt zum Fuß­ball? Zum Verein? Die Klub-Ver­ant­wort­li­chen des 1. FC Kai­sers­lau­tern haben sich in einer Stel­lung­nahme umge­hend von den Tätern und ihrem Welt­bild distan­ziert. Das ist zunächst mal lobens­wert.

Den­noch schwingt in den Aus­sagen auch eine gewisse Ohn­macht mit. Kai­sers­lau­terns Vor­stands­vor­sit­zender Stefan Kuntz sprach jeden­falls jüngst einen Satz im SWR-Fern­sehen aus, der so schon etliche Male bei ähn­li­chen Vor­fällen gefallen ist: Das sind in unseren Augen keine Fans.“ Allein, warum ist es nicht mög­lich, dass solche Leute – Gewalt­täter, Neo­nazis, Hoo­li­gans – Fuß­ball­fans sind? Und inwie­fern bringt diese Fest­stel­lung eine Lösung des Pro­blems? Es führt allen­falls dazu, dass man es ver­schleppt. So werden Sta­di­on­ver­bote erteilt, wenn sie nicht schon bestehen. Es werden wei­tere Pres­se­mit­tei­lungen ver­schickt. Stel­lung­nahmen ver­sendet. Pla­kate gedruckt. Danach: Alltag. Es gibt wich­ti­gere Themen. Pyro­technik zum Bei­spiel.

Eine Dämo­ni­sie­rung, die sich selbst wün­schen

Es ist sicher­lich falsch, nun mit dem Finger auf Kai­sers­lau­tern und den FCK zu zeigen. Kate­gorie C ist auch in etli­chen anderen deut­schen Städten auf­ge­treten. Tes­to­ste­ron­jungs mit Thor Steinar“-Shirts sieht man auch bei anderen Ver­einen. Und rechte Parolen nimmt man, wenn man genau hin­hört, gele­gent­lich auch in anderen Sta­dien wahr. Doch hat der FCK, so paradox es klingt, nun eine Chance. Näm­lich diese Per­sonen als Anhänger zu begreifen und die Pro­bleme in der eigenen Kurve deut­lich zu benennen. Mit der Das sind keine Fans“-Argumentationslinie distan­ziert man sich zwar von diesen Leuten, indem man sie ver­meint­lich aus dem inneren (und fried­li­chen) Zirkel der großen Mehr­heit iso­liert, aller­dings erfahren die Fans aus der rechten Szene so eine Dämo­ni­sie­rung, die sich selbst wün­schen. Sie werden zu Out­laws, zu Anderen, zu den­je­nigen, die von den offi­zi­ellen Funk­tio­nären (also den Oberen) als Nicht-Fans gebrand­markt werden. Und sie werden zu Per­sonen, die angeb­lich die Kurven infil­trieren, um dort nichts weiter zu tun, als rechte Parolen und Pro­pa­ganda zu ver­beiten. Die also jedes Vakuum nutzen, das sich ihnen durch ver­schie­dene Fak­toren – etwa eine schlechte sport­liche Situa­tion – bietet.

Durch Skan­da­li­sie­rung wirkt die Szene ver­rucht“

Der Jour­na­list und Buch­autor Ronny Blaschke (u.a. Angriff von Rechts­außen“) sagte kürz­lich in einem Inter­view mit 11FREUNDE: Durch Skan­da­li­sie­rung wirkt die Szene ver­rucht und geheim­nis­voll. Das ist genau das, was sie sich wün­schen.“ Doch in Wahr­heit sind diese Per­sonen in vielen Fällen längst Teil der Kurve und kein Pro­blem eines Neben­schau­platzes. Dieses Mal, so die lesens­werte Stel­lung­nahme Es reicht schon lange“ des FCK-Fan­klubs Ber­liner Bagaasch“ zum Shechter-Fall, ist es kei­nes­falls (die) Lap­palie eines Ein­zel­tä­ters“.

Und so ist es häufig. Es sind jeden­falls nicht immer nur die iso­lierten und mar­gi­na­li­sierten Neo­na­zi­schläger, denen es eigent­lich egal ist, wel­chen Verein sie anfeuern und die sich wie zufällig eine FCK‑, HSV‑, FCN- oder SVW-Mütze auf­ge­setzt haben. Selbst wenn diese Per­sonen keine Fans sind, mit denen sich die Ver­eins­füh­rung oder auch die große Mehr­heit der Kurve iden­ti­fi­zieren, selbst wenn sie die eigent­liche Idee hinter einer bunten Kurve und den Begriff Fan ad absurdum führen, so mögen sie doch Leute sein, die an ihrem Klub hängen.

Das U‑Bahn-Lied

Ein erster Schritt wäre es also, dieses Pro­blem als eines zu begreifen, das nicht in einer Par­al­lel­welt, son­dern auch in Fan­kreisen besteht. Ein nächster wäre es, Ordner und andere Sicher­heits­kräfte schulen zu lassen, so dass Nazi­codes im Sta­dion recht­zeitig ent­deckt werden können oder auf­merksam auf noch in vielen Teilen der Kurven exis­tente rechte Phä­no­mene reagiert werden kann. Etwa auf Erschei­nungen, von denen man eigent­lich glaubte, sie wären lange schon in die unteren Ligen gedrückt worden oder gänz­lich ver­schwunden. Das U‑Bahn-Lied ist es jeden­falls nicht. Man kann es auch heute hie und da hören. Und schließ­lich besteht für alle Ver­eine wei­terhin die Chance zu sagen: Diese Leute sind Fans unseres Ver­eins – aber wir wollen sie nicht als Fans!“ Ver­mut­lich wirkt all dies sehr viel dees­ka­lie­render als Poli­zei­be­amte und Ordner, die ein­fach nur dastehen und schweigen.

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*In einer vor­he­rigen Ver­sion dieses Textes stand fol­gender Satz: Denn laut Sta­di­on­ord­nung ist Thor Steinar“ am Bet­zen­berg – im Gegen­satz zum FC St. Pauli, Carl Zeiss Jena und Werder Bremen – nicht ver­boten.“ Dass der Mar­ken­name Thor Steinar“ nicht in der FCK-Sta­di­on­ord­nung erwähnt wird, ist eine bewusste Ent­schei­dung des Klubs. Der FCK möchte keine (Google-gene­rierte) Wer­bung für Firmen machen, die rechts­extreme Pro­dukte und Marken ver­treiben. Unter Para­graph 7 Ver­bote“ heißt es aller­dings:

Es ist ins­be­son­dere unter­sagt:
a) Men­schen­ver­ach­tende, gewalt­ver­herr­li­chende, ras­sis­ti­sche, frem­den­feind­liche, rechts bzw. links­ra­di­kale, poli­tisch extre­mis­ti­sche, obs­zöne, anstö­ßige oder pro­vo­ka­tive belei­di­gende Parolen zu äußern oder zu ver­breiten, Anfein­dungen jeg­li­cher Art betref­fend Men­schen mit Behin­de­rung, Frauen, Homo­se­xu­elle und Anders­gläu­bige.
b) Gruß­formen, die sich gegen die frei­heit­lich demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung richten und Sym­bole von ver­fas­sungs­wid­rigen oder feind­li­chen Orga­ni­sa­tionen zu zeigen.

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