Ich bin kein zweiter Torwart

Publish date: 2024-11-27

Wir haben das nach­fol­gende Inter­view mit Marc André ter Stegen Ende März 2015 in Bar­ce­lona geführt. Es erschien in gekürzter Fas­sung der Mai-Aus­gabe von 11FREUNDE.

Marc André ter Stegen, Sie sind nun seit zehn Monaten beim FC Bar­ce­lona. Inwie­fern ist Barca més que un club“, mehr als ein Klub?
Der FC Bar­ce­lona ist einer der größten Ver­eine der Welt, trotzdem ist es hier sehr fami­liär. Es ist inso­fern gar nicht so anders als in Glad­bach, denn auch hier denkt nie­mand, er wäre etwas Bes­seres.
 
Wie drückt sich das aus?
Die Spieler inter­es­sieren sich nicht nur für den Fuß­ball, son­dern auch für dich als Men­schen. Jeder hat ein offenes Ohr, ganz egal ob er Lionel Messi, Xavi oder Andrés Iniesta heißt. Es gibt keine Neider. Als Xavi letz­tens ein­ge­wech­selt wurde, lief Leo prompt zu ihm rüber und streifte ihm die Kapi­täns­binde über.
 
Xavi ist also immer noch der Chef?
Ich wollte damit eher sagen, dass sich hier selbst jemand wie Lionel Messi nicht über andere stellt.
 
Ver­spüren Sie noch jugend­liche Euphorie, wenn Sie einem Spieler wie Messi zum ersten Mal gegen­über­stehen?
Man macht sich als Fuß­ball­profi frei von der Hys­terie oder dem Star­kult, der um einen Spieler herrscht. Für mich geht es eh nur um den Men­schen. Ob ich jemanden mag oder nicht, hängt jeden­falls nicht von seinen Titeln oder seinem Können ab.
 
Aber Sie müssen doch eine gewisse Vor­freude vor dem ersten Schuss­trai­ning mit Messi gehabt haben.
Ach, Leo. Der spielt ja nur so… ganz okay. (Lacht.) Im Ernst: Er ist natür­lich ein groß­ar­tiger Fuß­baller. Was er mit dem Ball macht, ist brutal.
 
Spa­zieren Sie auch mal gemeinsam über die Ram­blas?
Ich wohne etwas außer­halb und bin daher nur selten in der Stadt. Das ist aber auch gut so. Hier geht es ein wenig aggres­siver zu als in Deutsch­land. Wenn man in der Stadt erkannt wird, bildet sich schnell eine Men­schen­traube um dich herum. Jeder klopft dir auf die Schul­tern, jeder will ein Foto. Bei mir hält sich das noch etwas in Grenzen.
 
Was ist noch anders als in der Bun­des­liga?
Zum Bei­spiel die Abläufe am Spieltag: Wir treffen uns mor­gens kurz zum Früh­stück und zu einem lockeren Anschwitzen. Wir laufen ein biss­chen und spielen etwa 20 Minuten lang fünf gegen zwei. Anschlie­ßend fährt jeder wieder nach Hause. Und abends trifft man sich erst zwei Stunden vor dem Spiel. Vor einem Cham­pions-League-Spiel treffen wir uns erst um 18.45 Uhr. Es ist ja aber nicht so, dass wir keinen Erfolg damit hätten. Im Gegen­teil.
 
Zu Beginn Ihrer Lauf­bahn haben Sie mit Ihrem Berater einen Kar­rie­re­plan ent­worfen. Stand da unter Punkt zwei ein Wechsel zum FC Bar­ce­lona?
So kon­kret kann man das nicht sagen. Es ging eher darum, mittel- oder lang­fris­tige Ziele zu skiz­zieren. Nach meiner tollen Zeit in Glad­bach wollte ich etwas Neues ent­de­cken. Und damit meine ich nicht, eine Aben­teu­er­reise nach Neu­see­land oder Ame­rika. Ich wollte zu einem Fuß­ball­verein wech­seln, mit dem ich mich voll und ganz iden­ti­fi­zieren kann.
 
Sie sind in Glad­bach geboren und haben 18 Jahre für Borussia gespielt. Hatten Sie Angst vor der großen weiten Welt?
Angst? Nein. Ich hatte Respekt und eine gewisse Demut. Etwas, das man im Pro­fi­fuß­ball unbe­dingt braucht. Es ging auch darum, mal die eigene Kom­fort­zone zu ver­lassen.
 
Der Wechsel ent­wi­ckelte sich zu einer Hän­ge­partie. Für Außen­ste­hende ent­stand der Ein­druck, dass Sie sich über den nächsten Schritt nicht sicher waren.
Ich habe das nicht so emp­funden.
 
Wann haben Sie sich denn zum ersten Mal mit einem mög­li­chen Wechsel zum FC Bar­ce­lona beschäf­tigt?
Im Oktober oder November 2013. Es war eine unglaub­lich harte Zeit für mich, denn ich war hin und her­ge­rissen. Der Wechsel bedeu­tete ja nicht nur eine räum­liche Tren­nung, son­dern auch den Abschied von vielen Per­sonen, die mir wichtig waren, von Tor­wart­trainer Uwe Kamps, Sport­di­rektor Max Eberl, Trainer Lucien Favre oder Jugend­ko­or­di­nator Roland Virkus.
 
Wenn der FC Bar­ce­lona anfragt, muss man doch nicht lange über­legen.
Zual­ler­erst war es eine Frage des Respekts gegen­über Borussia Mön­chen­glad­bach. Auch des­wegen habe ich den Namen des neuen Ver­eins erst nach dem letzten Sai­son­spiel öffent­lich bekannt gegeben. Außerdem war die Situa­tion bei mir beson­ders. Glad­bach hat sehr um mich gekämpft, ein sehr gutes Angebot unter­breitet…
 
Sie hätten zwei Mil­lionen Euro plus Prä­mien ver­dient. Es war das beste Angebot, das jemals einem Spieler der Borussia gemacht wurde.
Das weiß ich nicht. Was ich sagen will: Die Zeit war nicht ein­fach für mich, und jedes Mal, wenn ich an einen mög­li­chen Wechsel gedacht habe, war ich den Tränen nah. Ich habe mich dann im Winter für ein, zwei Wochen zurück­ge­zogen und mich ent­schieden.
 
Glad­bach hatte also wirk­lich eine reelle Chance?
Es gab welt­weit nur einen Verein, der gegen den FC Bar­ce­lona eine Chance hatte: Borussia Mön­chen­glad­bach.
 
Erklären Sie uns mal Ihre beson­dere Bezie­hung zur Borussia.
Der Verein war in unserer Familie prä­sent, seit ich denken kann. Mein Groß­vater hat die Spiele am Bökel­berg als Poli­zist begleitet. Mein Vater ist mit mir zum ersten Mal ins Sta­dion gegangen. Mit vier Jahren habe ich ein Pro­be­trai­ning absol­viert und bin ein­ge­treten, ich habe in allen Jugend­mann­schaften gespielt, bin zum Bei­spiel mal an der Hand von diesem Riesen Simon Jentzsch ein­ge­laufen und zahl­reiche Vor­spiele am Bökel­berg gemacht. Wenn die Borussia gegen den FC Bayern spielte, war das der helle Wahn­sinn, denn die Tri­bünen waren schon lange vor Anpfiff gefüllt.
 
Damals waren Sie noch Feld­spieler.
Stimmt. Doch eines Tages stellte mich der Trainer ins Tor, er fand meinen Lauf­stil seltsam. Rück­bli­ckend kann man sagen: Alles richtig gemacht. (Lacht.)
 
Ihr Idol war Marcel Ket­elaer, der Ende der neun­ziger Jahre als eins der größten Talente in Deutsch­land galt. Haben Sie sich als junger Spieler mit einem mög­li­chen Schei­tern aus­ein­an­der­ge­setzt?
Marcel Ket­elaer war für mich mehr als nur ein her­vor­ra­gender Fuß­baller, er war eine Iden­ti­fi­ka­ti­ons­figur. Er stammte auch aus Glad­bach, seine Mutter ver­kaufte Pommes in der Stadt, und sein Vater stand auf den Tri­bünen des Bökel­bergs und feu­erte ihn an. Es war fami­liär und es fühlte sich trotzdem wie die große Fuß­ball­welt an. Über ein mög­li­ches Schei­tern habe ich da nicht nach­ge­dacht.
 
Sie hatten also keinen Plan B in der Tasche?
Wichtig war mir und auch dem Verein, dass ich mein Fach­ab­itur mache. Und natür­lich hatte ich immer mal wieder Träume – auch abseits des Fuß­balls. Ich fand den Beruf des Kochs immer fas­zi­nie­rend, die krea­tive Arbeit, die Kunst im Zube­reiten von Speisen. Eines Tages erzählte mir jemand, wie die Arbeits­zeiten eines Kochs sind. Da sagte ich mir: Dann doch lieber Fuß­ball­profi. (Lacht.)

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